Weihnachten in Sydney, 24.-25.12.2010

Als ich mein Hostel sehe, in dem ich knapp zwei Wochen verbringen werde, um die Jahresendfeierlichkeiten zu begehen, denke ich ganz spontan über Flucht nach… will ich wirklich in diesem siffigen, mit viel gutem Willen als “alternativ” zu bezeichnenden Bunker die Feiertage verbringen? Bei näherer Betrachtung hätte mich der Name „Asylum“ doch irgendwie warnen sollen.

Relativ schnell unterbricht mein Verstand mein Entsetzen, denn es würde extrem teuer werden, sollte ich mir wirklich ein anderes Asyl suchen wollen. Über die Feiertage zahlt man in dieser schönen Stadt mal eben gut das Doppelte, muss mindestens zehn Nächte buchen und im Voraus bezahlen… da hilft wohl alles nichts, da muss ich jetzt durch.

Ein Wenig Schonzeit bleibt mir noch, an der Türe hängt ein Schild, dass die Rezeption gerade Pause macht. Gut, dann laufe ich jetzt halt noch eine Weile mit meinem Gepäck durch die Gegend.

Wo kommt denn da eigentlich die ganze Zeit meine gute Laune her? Die ist ja schon nervtötend präsent, die hab ich wohl aus Neuseeland mitgebracht… Trotz der objektiv nicht gerade rosigen Situation bringt sie mich nur kurz zum Kopfschütteln über meine grandiose Hostelwahl (immerhin hatte es extrem gute Bewertungen bei Hostelworld, da musste ich mich ja fehlleiten lassen) und schickt mich mit meinem Rucksack bepackt in Richtung Park. Da ist es bestimmt schön, ich kann mal einen Eindruck von Sydney bekommen und außerdem ist doch heute Weihnachten. Schon vergessen?

Auf dem Weg zum Park stelle ich fest, dass ich um diese Zeit (ca. 16.30 Uhr) in diesem Stadtteil wohl die Einzige bin, die nicht unter Alkoholeinfluss steht. Und als ich so über ein Mädel lache, dass ohne die Hilfe des Typen an ihrer Seite schon längst von ihren hohen Schuhen gefallen wäre und beim Überqueren einer roten Ampel einen Autofahrer dazu verleitet zu rufen „bring dein Mädchen lieber mal nach Hause“, erklärt mir der Kerl, der mit mir an der Ampel wartet, dass er Kings Cross so gerne mag, weil die Leute hier so herrlich verrückt sind. Wieder ein gut gelauntes Kopfschütteln meinerseits.

Kurze Zeit später finde ich eine Kirche und davor sowohl einen Weihnachtsbaum, als auch eine Krippe. Wenn das nicht genügend Hintergrundmotive für ein 1A Backpackerweihnachtsfoto sind, dann weiß ich es auch nicht mehr. Fast meine gesamte Wartezeit verbringe ich mit albernen Selbstaufnahmen und dem Ausschlagen zahlreicher Angebote, dass man gerne ein Foto von mir machen könne. Nein, sich seltsam hinstellen, einen Arm ausstrecken und debil in die Linse grinsen ist Teil des Spiels.

Als ich endlich zufrieden mit meinem Werk bin, gehe ich zurück zum Hostel, checke ein und stelle fest, dass die Außenansicht eigentlich noch ganz nett ist. So im Gegensatz zum Interieur. Mein erster Gedanke ist: Hier wäre aber mal eine Putzkolonne in Armee-Stärke notwendig. Mein Zweiter: Vielleicht sollte man das Gebäude mal grundsanieren… mittlerweile bin ich mir sicher, dass außer Abriss und Neuaufbau nichts mehr hilft.

Der Teppichboden hat nur dort keine Flecken, wo Löcher sind (was immerhin zu einem recht großen Anteil an Fleckfreiheit führt), der Türrahmen im Bad hat irgendwie die Schwerkraft überlistet, denn oben existiert er, während er unten schon weggefault ist. Der Aufenthaltsraum ist ein Kellerloch mit einem Fenster durch das kein Licht kommt und ich kann euch sagen, als ich aus Versehen in die Sofaritze fasse, habe ich plötzlich ein extrem ausgeprägtes Bedürfnis, mir die Hände zu waschen…

In meinem Zimmer herrscht Chaos und es riecht nach Jungs. Ihr wisst schon, der Gestank, über den sich Mütter von männlichen Teenagern immer so schön aufregen. So schlimm war es ja noch nichtmal in Wellington! Dafür gibt es einen Balkon. Dass dieser abends um 10.00 Uhr zugeschlossen und morgens um 7.00 Uhr geräuschvoll wieder aufgeschlossen wird, bekomme ich natürlich erst mit, als ich abends zu meinem Handtuch möchte, wir aber leider nicht mehr zusammenfinden können, weil eine Kette mit Vorhängeschloss den Weg versperrt.

Gut, das ist dann also vorerst einmal mein zu Hause. Immerhin gibt es kostenloses Internet an in unregelmäßigen Abständen funktionierenden Computern und billiges Wi-Fi. Auch im Hostel bin ich eine der Wenigen, die noch Blut im Alkohol haben und hoffe kurz, dass es daran liegt, dass Heiligabend ist. Um jetzt noch einzusteigen ist es zu spät, also mache ich mich hinter meinem Computer unsichtbar, schreibe ein Wenig und freue mich, dass meine Tarnung so gut ist, dass meine Mitmenschen belauschen kann.

Irgendwie ist hier eine extrem angenehme Atmosphäre und wenn sich die Augen erst einmal an die mangelnde Illumination angepasst haben und die Nase sich an den seltsamen Geruch gewöhnt hat, ist es fast gemütlich…

So komme ich später mit Anke ins Gespräch, eine andere Deutsche (und von denen gibt es hier erstaunlich wenige!), die es auch für eine gute Idee hält, den Weihnachtstag am Strand zu verbringen und dann mal zu schauen, was es mit dem Barbecue auf sich hat, dass es von Seiten des Hostels geben soll.

Und so machen wir uns am nächsten Tag auf zum Bondi Beach, um das surrealste und gleichzeitig entspannendste Weihnachtsfest zu verleben, das ich je hatte. Ein Weilchen liegen wir gemütlich am Strand herum, gehen Schwimmen, lesen ein Wenig und unterhalten uns prächtig. Würden hier nicht überall Menschen mit Nikolaus-Mützen sitzen, könnte man glatt vergessen, dass es sich um einen hohen christlichen Feiertag handelt. Die Mützen sind aber so gegenwärtig, wie all die Alkohol-Verbotsschilder, die vermuten lassen, was hier in den vergangenen Jahren so los war… Es gibt sogar Bikinis im Santa-Look. Vielleicht findet ihr das normal, mich hat es erstaunt.

Als ich feststelle, dass ich meinen Beinen beim Bräunen zugucken kann und jetzt wohl genug Sonne für heute hatte, schauen wir nochmal kurz, was es mit der großen Christmas-Party auf sich hat, entscheiden uns aber, dass 59 Dollar für eine Feier mit Wet-T-Shirt-Contest nicht das sind, was wir gerade möchten und machen uns auf die Suche nach Nahrung.

Hin und her gerissen, was wir eigentlich wollen, was es wohl mit dem Barbecue auf sich hat und ob wir etwas kochen sollen, gehen wir zurück zum Hostel, wo natürlich nichts weiter stattfindet. So ein wenig verplant sind die Leute dort ja schon… und das überrascht mich nichteinmal. Dafür entdecken wir ein japanisches Restaurant und es ist ja schließlich Weihnachten, da kann man sich ja auch mal was gönnen, oder? Anke und ich sind uns so schnell einig, dass es schon fast beängstigend ist. Bis das Restaurant öffnet, bleibt noch Zeit zum Duschen und schon sitzen wir dort, genießen die volle Aufmerksamkeit von mehreren Kellnern (ok, von denen ist nur einer wirklich aufmerksam) und freuen uns über das Leben im allgemeinen und unsere im Speziellen.

Was für ein wunderbarer Tag. Und dann erst das Essen. Dummerweise komme ich erst beim Nachtisch (Sojabohneneis) auf die Idee, es fotografisch festzuhalten, denn auch meine in Wasabi eingelegten Oktopus-Tentakeln (ja, ich bin heute extrem experimentierfreudig und werde belohnt) und mein Fisch mit Reis-Gedöns sind nicht nur unglaublich gut, sondern auch wahnsinnig schön. Dazu gibt’s Wein… mein Leben ist schon wieder unwahrscheinlich hart. Wie gut, dass ich mich daran immer noch nicht gewöhnt habe und bei diesem Gedanken (der fast täglich auftaucht) immer noch angenehm überrascht sein kann.

Später treffen wir uns noch mit einigen anderen aus dem Hostel, Weihnachten will ja schließlich auch gefeiert werden. Das allerdings ist ein ernsthaftes Problem, denn bis auf das Casino ist alles geschlossen… So bleibt uns ein ausgedehnter Spaziergang durch den Darling Harbour (unglaublich schön im Dunkeln) und die Feststellung, dass tatsächlich alle Asiaten (zumindest die männlichen) den Weg zum Casino kennen, während alle anderen Personen unwissend gucken, wenn man sie fragt, wie man dort hin kommt. Probiert es mal aus. Wir haben das ausgiebig und unter relativ undezentem gekicher getestet und ich werde diese Versuchsreihe auch in anderen Städten fortsetzen.

Also, ich muss schon sagen, wenn man sich dem ganzen Vorweihnachts- und Jahresendzeitgetue einfach mal entzieht, muss Weihnachten gar nicht stressig sein. Ja, man kann einfach einen wunderbaren Tag haben und es sich gut gehen lassen. Gut, so richtig in Weihnachtsstimmung bin ich natürlich nicht, aber dafür bin ich mir sicher, dass dies der beste Weg war, die Feiertage zu verleben, wenn ich schon nicht zu Hause bin.

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