Silvester

Ja, ich war naiv. Nein, eigentlich habe ich einfach nur nicht nachgedacht.

Meine Entscheidung Silvester in Sydney zu verbringen fiel ja hauptsächlich, weil es in meiner Planung nach einem guten Zeitpunkt aussah, nach Australien einzureisen und ich über die Feiertage gerne in einer großen Stadt sein wollte. So von wegen nicht alleine feiern und so. Dabei habe ich die offensichtliche Tatsache komplett ignoriert, dass Sydney die erste ernsthafte Stadt der Welt ist, in der 2011 beginnt (In diesem Fall nimmt wirklich keiner Neuseeland ernst. Nichteinmal ich.). Außerdem machen die schon seit Jahrzehnten ein riesiges Feuerwerk, dass in alle Welt übertragen wird… der Jahreswechsel ist also alles in allem ein ziemlich großes Ding und ich habe mich zwischenzeitlich tatsächlich darüber gewundert… jetzt aber freue ich mich hauptsächlich und wenn ich schon mal in der scheinbar begehrtesten Silvester-Stadt bin, dann will ich auch alles. Wunderschönes Wetter, perfekte Organisation, keinerlei Stress, viel Spaß, nette Menschen um mich herum, gutes Essen, angemessene Getränke, ein Fleckchen, an dem ich das Feuerwerk gescheit sehe… das kann ja eigentlich nicht zu viel verlangt sein.

Zwischen den Jahren fällt mir irgendwann eine Broschüre der Stadt in die Hände, in der detailliert sämtliche Orte aufgezeichnet sind, von denen man die Feuerwerke sehen kann. Es ist beschrieben, wie viele Personen auf den jeweiligen Arealen zugelassen sind, wo es Toiletten und Getränke gibt und in welchen Regionen das Mitbringen von eigenem Alkohol verboten ist. Ich bin schlichtweg begeistert. Offensichtlich wissen die hier, was sie tun. Was mich hingegen schockiert ist, dass es ganz danach aussieht, als müsste man sich bereits am frühen Morgen in den Park begeben, um ein schönes Plätzchen zu ergattern. Nein, schockiert ist eigentlich das falsche Wort, denn schon nach kurzem Nachdenken finde ich die Vorstellung von einem ausgiebigen Picknick gar nicht mehr so schlecht. Hätte ich an dieser Stelle länger nachgedacht, wäre meine Einstellung vermutlich wieder eine andere gewesen, aber so schnappe ich mir das kleine Heftchen und zeige es stolz einigen anderen im Hostel. Zu meinem Missfallen kann sich keiner so recht begeistern, denn angeblich haben die Leute vom Hostel ein ganz wunderbares Fleckchen in einem Park entdeckt, zu dem wir unsere eigenen Getränke mitbringen können und auch nicht ganz so früh hinmüssen…

Also da bin ich natürlich skeptisch. Es fällt mir ja ganz allgemein schon schwer, das Schicksal meines Vergnügens in die Hände anderer zu legen, wenn ich diese dann aber nichtmal kenne, ein von den gleichen Personen zugesagtes Weihnachts-BBQ nicht stattgefunden hat und es sich außerdem zum Teil um Italiener handelt, die Haare haben wie Sideshow Bob, dann kann man von mir nun wirklich kein Vertrauen in die Organisation erwarten.

Aber was soll ich tun? Ich habe die Wahl, mich alleine (oder im besten Fall ein paar mühsam überredeten Personen) früh morgens auf eine Rasenfläche namens Mrs. Macquarie’s Chair zu setzen, zu hoffen, dass das neue Jahr beginnt, bevor ich einen Hitzschlag habe und alles ganz genau so zu haben, wie ich es plane. Oder ich lasse mich darauf ein, dass es ein gnadenlos chaotischer Tag werden kann, den ich aber mit den munteren Menschen verbringe, wegen denen mir schon das Treppengeländer im Hostel egal ist, an dem man so schön festklebt und das sich trotzdem jedes Mal wieder anfasse, wenn ich daran vorbeigehe.

Da fällt die Entscheidung natürlich nicht wirklich schwer, man muss ja auch mal was riskieren…

Beginn der Feierlichkeiten ist Mittag. Im Hof gibt es Barbecue und die erste Runde alkoholischer Getränke. Sicherheitshalber besorge ich noch etwas fleischloses Grillgut, soweit kann ich mein Vertrauen dann doch nicht strecken. Nach zwei „Würstchen“ bin ich dann bereit für das erste Glas Weißwein. Nein ich korrigiere mich. Für den ersten Kaffeebecher lauwarmen Goon. Für alle, die es nicht kennen, Goon ist das beliebteste Backpackergetränk (vor dem ich mich bisher erfolgreich gedrückt habe) und ist sowas wie Wein. Es kommt aber aus einem 4-Liter-Pappkarton und auf dem steht, dass der Inhalt Milch, Soja, Eier sowie Fisch enthalten könnte, daher ist es strittig, ob es sich auch wirklich um Wein handelt. In prallem Sonnenschein ein Genuss. Nadine und ich kämpfen uns durch den ersten Becher, der Zweite geht schon gleich besser und dann wird es Zeit für die ersten 2 Liter Wasser, denen an diesem Tag noch viele folgen werden. Den Ruf ständig Wasser zu trinken habe ich ohnehin, warum am letzten Tag des Jahres noch dagegen ankämpfen?

Daniel und unser Inder drücken sich vor dem Partybeginn im Hinterhof, finden dafür aber heraus, dass die Schlangen vor sämtlichen Parks mittlerweile extrem lang sind und die Sonne dort offensichtlich eine Qual. In mir wächst stetig der Gedanke, dass es gar keine schlechte Idee war, mich auf die Hostel-Feier eingelassen zu haben.

Irgendwann am Nachmittag ziehen wir dann in einer ziemlich großen Runde, der sich noch Freunde von Freunden und deren Bekannten angeschlossen haben los, stürmen 1-3 Linienbusse und kommen schließlich zu einem Park, in dem der Hostel-Mitarbeiter, der Aussieht wie Sideshow Bob ein riesiges Fleckchen für uns frei gehalten hat. Und nicht nur das, überall stehen Kühltaschen mit den verschiedensten Getränken, die wir in einer nicht näher definierten Reihenfolge über den Abend hinweg zu uns nehmen können und es auch werden. Ja, ich habe die Organisationsfähigkeiten unterschätzt. Sie wissen tatsächlich, was sie tun.

Kurze Zeit später sitze ich mitten in einer Horde lustiger Menschen aus allen möglichen Ländern bei strahlendem Sonnenschein auf meiner Decke, halte eine Dose Bier in der Hand und schaue direkt auf die Harbour Bridge. Wie kann denn bitteschön ein einziger Augenblick so schön sein?

Zu schön denkt sich offensichtlich auch das Ehepaar, dass sein Baby als Ausrede benutzt, uns ein Zelt direkt vor der Nase aufzubauen. Und mit direkt meine ich so nahe, dass ich es fast mit den Füßen berühre. Dass wir davon nicht gerade begeistert sind entrüstet die beiden schon fast, schließlich braucht das Kind Schatten und bis zum Feuerwerk sind sie ohnehin weg. Ja wenn das so ist, bin ich natürlich beruhigt und starre gerne 7 Stunden auf eine gelbe Wand, dafür bin ich schließlich hier…. Pappnasen.

Mit allen anderen Betroffenen ziehen wir also zwei Meter weiter auf der Wiese, die sich an dieser Stelle als Sumpfgebiet herausstellt. Aber ich sitze immer noch in einer Gruppe netter Menschen, halte immer noch meine Dose Bier in der Hand und die Sonne scheint natürlich auch nach wie vor. Nein, nichteinmal die Tatsache, dass mein Kleid gerade so durchweicht, dass ich es auf dem Weg zu meinem ersten Toilettenbesuch werde auswringen müssen, nimmt diesem Moment auch nur einen Hauch seiner Perfektion. Wow… ich bin einfach nur begeistert, glücklich, entspannt und habe vor Freude Tränen in den Augen, dass ich da bin, wo ich gerade bin.

Wir picknicken, quatschen, trinken, stehen vor den Dixi-Klos Schlange, die offenbar in jedem Land gleich widerlich sind, quatschen, trinken, picknicken und irgendwann ist es Mitternacht.

Das Feuerwerk, bereits vorab stündlich mit einigen kleinen Schüssen angekündigt, ist groß, bunt, einige um mich herum (und viele, die ich später auf meiner Reise treffe) sind enttäuscht, weil es wohl im Fernsehen besser rüber kommt, oder sie spektakuläreres gewohnt sind. Ich kann und will es nicht be- und schon gar nicht verurteilen, denn ich genieße einfach nur den Moment, den Abend, das neue Jahr und die Gedanken an das Alte, die Aussicht, das Land, den Sommer, die Gesellschaft all der netten, spannenden, inspirierenden Menschen, die ich bisher kennengelernt habe und die mir noch begegnen werden, die Erinnerung und Vorfreude an all die wunderschönen, einzigartigen Orte, eine grandiose Reise insgesamt, die mir schon so viel wunderbares gegeben hat und hoffentlich auch noch geben wird…

Prost Neujahr. Auf dass es auch allen meinen Lieben zu Hause so gut geht wie mir und darauf, dass 2011 genauso schön beginnt, wie 2010 geendet hat!

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