Canmore, 14.-18.10.2010

Auf dem Weg von Jasper nach Canmore verbringe ich wieder einmal eine Nacht im Bus und frage mich, ob ich das nicht vielleicht irgendwann vermissen werde… Am Morgen werde ich neben einem Tschechen wach, dessen Beine viel zu lang zum Greyhound fahren sind, weshalb er den eher kurz geratenen Asiaten vor sich darum bittet, die Rückenlehne nicht herunterzuklappen. Kurze Beine sind wirklich von Vorteil auf diesen Busreisen…

Als ich ziemlich verschlafen nach Links und Rechts schaue, begrüßt mich besagter Tscheche mit einem extrem freundlichen „Good Morning“. Habe ich im Schlaf gesprochen? Gesabbert? Oder mein Nickerchen auf seiner Schulter ausgetragen? Sollte mir irgendetwas davon peinlich sein? Fragen über Fragen, aber noch bevor ich mir darüber weitere Gedanken machen kann, kitzelt die Sonne meine Nase und ich schaue aus dem Fenster. Was ich sehe sind noch viel beeindruckendere Berge, als die, die mir bisher begegnet sind. Alles ist rauer und kantiger mit schärferen Ecken. Dazu wieder einmal strahlend blauer Himmel. Diese Rockies sind einfach der Hammer. Und zu allem Überfluss verwöhnen sie mich an meinem ersten Tag in Canmore nicht nur mit ein Wenig dekorativem Sonnenschein, sondern mit T-Shirt-Wetter!

Und so laufe ich durch die Gegend, teste die innerörtlichen Hiking-Wege und erinnere mich an die Selbstauslöser-Funktion meiner Kamera. Zeit für ein paar alberne Selbstportraits! So schön, so warm, so sonnig! Ach ja… wieder so ein Tag, an dem ich eindeutig feststellen muss, das mein Leben gerade äußerst beschwerlich ist… diese Rocky Mountains… ich glaube, ich habe mich verliebt. Nein, meine Blicke kann nun wirklich kein Berg mehr bösartig erwidern, das wäre unfair.

Trotzdem lerne ich bereits am nächsten Tag die raue Seite der Gebirgswelt kennen: Die Wetterumschwünge. Als ich wach werde klingt es nach Regen, aber als ich aus dem Fenster sehe ,ist alles weiß… Moment mal… Habe ich nicht gestern noch im T-Shirt auf der Wiese gelegen? Was macht denn das ganze weiße Zeug dann bitte überall? Es ist Mitte Oktober und ich bin in den Bergen… wer hat hier wohl mehr Daseinsberechtigung: der Schnee, oder ich, die eigentlich dem Sommer hinterher reisen wollte?

Also gebe ich mich geschlagen und freue mich darüber, dass dieser Umschwung stattfand, als ich in meinem mollig warmen Bettchen lag, das – abgesehen von dem Kissen, dass sich anfühlt, als schlafe man auf einer Plastiktüte – ziemlich bequem ist und nicht, beim Wandern oder was auch immer. Und so ziehe ich los und fotografiere einige Orte einfach erneut. Diesmal mit Schnee. What a difference a day makes…

Ach ja: auch hier bin ich natürlich zwischen allen erdenklichen Saisons und so ist mein Hostel fast leer. Die wenigen, die dort sind, sind auf der Suche nach Jobs oder nehmen an Workshops teil. Keine Chance, jemanden zu finden, der mit mir wandern geht… und alleine wandern ist langweilig und keine gute Idee von wegen Bären und so… Aber dafür finde ich etwas Spannendes, das ich gerne machen möchte: Caving. Im Prinzip eine Höhlen-Tour, aber nicht so, wie ich es bisher kenne, mit Treppen, Wegen und Geländern, sondern in einer naturbelassenen Höhle. Kann ich das? Ich lasse das Schicksal entscheiden und als noch ein Platz für mich frei ist, buche ich. Dann überkommt mich aber doch ein Wenig die Angst. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Caving anstrengend ist und man über eine „good physical fitness“ verfügen sollte. Aber was bitte schön ist das? Und viel wichtiger: habe ich das? Immerhin klang die Beschreibung meiner Muli-Tour im Grand Canyon ähnlich und das war nicht wirklich schlimm… allerdings saß ich schon mal auf einem Pferd und hatte daher eine gewisse Vorstellung…

Am nächsten Morgen mache ich mich also zugegebenermaßen extrem nervös auf den Weg zum Treffpunkt. Irgendwann erinnere ich mich auch, dass ich immer mal wieder davon träume, irgendwo stecken zu bleiben… mir scheint, ich bin der perfekte Kanditat, für so ein Höhlen-Abenteuer….

Unser Guide ist auch entsprechend durchtrainiert, ziemlich groß, passt aber trotzdem in Lücken von 7 Inches. Alles eine Frage der mentalen Stärke und der Körperbeherrschung… während ich die „letzte zivilisierte Toilette“ aufsuche schüttle ich einmal mehr den Kopf über mich selbst…diese Anna… überrascht sich immer wieder selbst… Wie schon bei der Muli-Tour muss ich unterschreiben, dass ich niemanden verklage, sollte ich bei der Tour verletzt werden oder sterben… Warum genau bin ich nochmal hier?

Dann erscheint endlich die erste von insgesamt sechs Mitcavern und sie ist einfach eine normale Frau. Keine durchtrainierte Extremsportlerin, sondern einfach normal. Das gibt mir Hoffnung. Und als der Rest der Gruppe (alles in allem sind sie eine Familie) erscheint, verlassen mich sämtliche Bedenken: 2 Herren irgendwo in den 50ern, ein Mädel Anfang 20, ein Teenager und ein weiterer Anfang 20 jähriger, der später erzählt, er hätte die Tour schon einmal gemacht, als er noch 100 Pfund weniger wog. Jetzt bin ich endgültig beruhigt.

Und dann geht es los. Nach einer kurzen Autofahrt bekommen wir unsere Ausrüstung und dann geht’s zu Fuß eine halbe Stunde bergauf zur Höhle. In der Tat befinde ich mich nicht am hinteren Ende der Fitness-Kette, steckenbleiben werde ich wohl auch nicht als Erste… es verspricht ein schöner Tag zu werden. Nach kurzer Einführung rutschen wir an Seilen oder einfach nur so Felsen herunter, klettern über Steine, seilen uns ca. 18 Meter ab, kriechen durch Löcher und sehen wunderschöne Tropfsteine. Wer mag kann durch den sogenannten „Laundry Chute“ einen gewundenen Gang klettern, der so heißt, weil er ungefähr die Größe und Form einer Wäscheklappe hat… da ich bisher noch nirgends steckengeblieben bin und zu denen gehöre, die es laut unsere Guides körperlich schaffen, will ich es versuchen und es geht erstaunlich gut. Wobei es wirklich seltsam ist, mit den Füßen zu erst in einem Gang, in dem man sich kaum umdrehen kann bergab zu rutschen, bis man an der nächsten Weggabelung ist… vor allem, weil es in so einer Höhle ziemlich dunkel ist… aber es macht zugegebenermaßen extrem viel Spaß!

Nach diesen Strapazen geht es noch ein bisschen hoch und ein wenig runter und wir kommen in die „Grand Gallery“, dekoriert mit Tropfsteinen in allen erdenklichen Formen. Danach geht es weiter über Steine unter Felsen, bergauf, bergab zur „Grotte“. Wieder wunderschön behangene Wände und ein kleiner Teich… irgendwie faszinierend, diese Unterwelt… was Wasser so alles tun kann… Danach geht es dann fast nur noch bergauf, bis wir wieder am Eingang angekommen sind. Ca. 5 Stunden waren wir in der Höhle und haben dabei nur einen winzigen Teil gesehen. Insgesamt sind ca. 4,5 km Höhle erforscht. Unser Guide schafft es in ca. 50 min. durch einen Großteil der gesamten Höhle. Schwierigkeiten hat er bei einem Gang, der „Sucks“ heißt. Warum? „Because it sucks if you have to go through“. Und es gibt unter anderem einen „Raum“ der sich „A nun’s nightmare“ nennt. Hier gibt es Stalagmiten in allen Größen und Formen…

Nach so langer Zeit ist es schön, das Tageslicht wieder zu sehen und mir ist klar, dass ich am nächsten Tag meinen ganzen Körper werde spüren können. Jede einzelne Faser. Vermutlich noch andere Gegenden, als nach dem Wandern. Außerdem habe ich diverse blaue Flecken, den schönsten am Schienbein, denn der hat nicht nur die Größe eines Hühnereis, sondern auch dessen Dreidimensionalität. Dreckig, müde und hungrig laufen wir den Berg wieder herunter und alles, was mir jetzt noch zum vollkommenen Glück fehlt, ist eine heiße Schokolade.

One Response to Canmore, 14.-18.10.2010

  1. Felix says:

    Ja, ja dem Sommer hinterher reisen habe ich auch mal versucht … bin dann bei -21°C in Kanada festgefroren.

    Dein Höhlenabenteuer klingt spannend!

Hinterlasse eine Antwort

Benutze deinen richtigen Namen. Ich veröffentliche keinen Keyword Spam.

*