Eigentlich wollte ich Banff ja vermeiden. Wenn einem sämtliche Reiseführer und Bekanntschaften schon darauf hinweisen, das es ein reiner Touristen-Ort ist (genaugenommen wurde Banff sogar als Resort gebaut), mache ich ja normalerweise einen großen Bogen. Da wir uns aber (wie bereits mehrfach erwähnt) außerhalb der Saison befinden, vermute ich hier doch noch den einen oder anderen Backpacker und mache Banff daher trotzdem zu meinem nächsten Ziel. Die Rocky Mountains möchte ich schließlich so schnell noch nicht verlassen.
Auf dem Weg zum Hostel findet mich auch gleich eine Australierin (Claire – Sommercamp mit anschließender Reise) und irgendwie kommen wir auch zu unserer Unterkunft, natürlich nicht ohne einen kleinen Umweg, denn eine Wegbeschreibung funktioniert einfach nur halbsogut, wenn es kaum Straßensschilder gibt… und der Nachteil an Gebirgen ist einfach, dass es ständig bergauf geht, so ist der Weg mit Gepäck nicht gerade unbeschwerlich. Dafür zeigt er mir einmal mehr, wie viel schöner es ist, mit einem Rucksack unterwegs zu sein, als mit einem Rollkoffer… mit ein bisschen Jammern schaffen wir aber auch dieses kleine Abenteuer, stellen unser Gepäck ab und begeben uns recht bald wieder bergab in Richtung Stadtmitte.
In Banff gibt es wirklich alles, was das Touristen-Herz begehrt. Eine Souvenir-Laden-Dichte, die ich selten in dieser Form gesehen habe, Kleidung, Kaffee, Essen und natürlich Sportausrüstung im Übermaß. Trotzdem ist es bei weitem nicht so schlimm, wie von mir befürchtet. Das liegt mit aller Wahrscheinlichkeit aber vor allem an der Zwischensaison, denn die Hiker sind weg und die Skifahrer noch nicht da. Dafür gibt es extrem viele Deutsche auf der Suche nach Jobs. „Work and Travel“ in Kanada scheint in diesem Jahr ganz oben auf der Liste der „Was machst du denn nach dem Abi“-Antworten gestanden zu haben. Wer nicht deutsch ist, kommt aus Australien. Der Rest der Welt scheint dieses Fleckchen Erde noch nicht entdeckt zu haben. Das tut mir Leid für alle.
Mein derzeitiger Aktivitätsdrang ist nicht nur befremdlich, sondern auch anstrengend und so nutze ich diesen Fakt und nerve Claire so lange, bis sie zustimmt, am nächsten Tag mit mir wandern zu gehen. Am nächsten Tag ist sie dann allerdings krank… Also mische ich mich durch dezentes Dazustellen in das Gespräch eines weiteren Australiers (Aaron, Urlaub) mit der Hostelinformation ein, der herausfinden möchte, was er denn am besten heute tun soll. Man muss nur aufmerksam genug herumstehen und schon wird man gefragt, was man selbst tut und ob man nicht einfach mitkommen möchte. Ja, genau darauf war ich aus. Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert. Die Entscheidung fällt schließlich auf die „Radium Hot Springs“ und da kann auch Claire mitkommen. Perfekt. Und vielleicht auch gar keine so schlechte Idee, wenn man bedenkt, dass ich meine Arme dank meines kleinen Höhlenabenteuers immer noch nicht ganz heben kann und auch meine Beine durchaus noch einen kleinen Muskelkater mitsichbringen. Aber ob Bikini eine gute Idee ist… meine Arme und Beine sind gerade alles andere als einfarbig… notfalls kann ich mir ja eine lustige Geschichte ausdenken, warum ich am ganzen Körper mit blauen Flecken überseht bin. Passt schon.
Die Hot Springs sind im Prinzip ein kuschelig warmes Schwimmbad und ein Wirlpool, dessen 39 bzw. 40 Grad warmes Wasser direkt aus einer heißen Quelle kommt, also mal eben irgendwo im Erdinneren umweltfreundlich aufgeheizt wird. Wunderbar entspannend und so legt sich mein Aktivitätsdrang auch mit der Sekunde, in der ich das Wasser betrete. Somit ist es egal, dass das kühlere Schwimmbecken geschlossen ist. Schwimmen möchte ich ohnehin nicht mehr.
Um nochmal darauf zurück zu kommen, dass sich die Menschen vom anderen Ende der Welt zu jedem Mist überreden lassen: Ich musst nur einmal sagen „guckt mal, man kann sich hier sogar historische Badeanzüge leihen“ und schon trägt der Australier einen Badeanzug aus den zwanziger Jahren. Schick mit einer Art Röckchen dran. Nicht nur zu unserer Belustigung, sondern auch zum Spaß der anderen Badegäste, die diese Mode zu einem Großteil vermutlich noch aus ihrer Kindheit kennt.
Am nächsten Tag kommt Claire dann nicht mehr drumherum und wir fahren mit dem Bus zum Sulphur Mountain (ja… auch das erklärt die ganzen Heilbäder in dieser Region). Von dort aus geht es knapp 6 Kilometer bergauf. Und wenn ich bergauf sage, meine ich auch bergauf. In den ersten 500 Metern wird man noch beruhigt, in dem es zwischendurch gerade Strecken gibt und wenn man gerade Spaß am Laufen hat, hört es auf. Ich kann nicht wirklich behaupten, dass dieser Aufstieg zu jeder Zeit ein Vergnügen ist, aber der Ausblick ist wiedereinmal atemberaubend, die Tortur ist vergessen und man wird für jeden Schritt und jeden Tropfen Schweiß belohnt. Wie klein Banff auf einmal wirkt… Und wie klein erst der Hügel ist, den wir am Tag unserer Ankunft hochgekrochen sind… Wie sich die Welt doch mit der Perspektive verändert, die man selbst einnimmt. Faszinierend.
Außer uns sind auf dem Berg ca. 4 Busladungen Asiaten, die sich lustig von Aussichtspunkt zu Aussichtspunkt wuseln, Fotos machen, sich von uns fotografieren lassen und auf ein Foto soll ich gleich mit drauf. Juhu ich bin eine Touristen-Attraktion. Oder so. Wenigstens weiß man, dass die schnell wieder weg sind und man selbst ein Foto machen kann.
Bergab geht es dann mit der Gondel. Unsere Knie werden es uns irgendwann danken und außerdem kostet es nichts. Ganz schön steil. Und wenn man sich so langsam wieder bergab bewegt, weiß man erst, wie weit oben man eigentlich war. Da sind wir wirklich hoch gelaufen?
Ich muss zugeben, Banff ist wirklich nicht so schlimm und so überlege ich ein Weilchen, ob ich den nächsten Touristen-Hot-Spot „Lake Louise“ als Tagestour machen möchte oder mit Übernachtung. Es ist nicht weit, trotzdem liegt es ohnehin auf dem Weg nach Vancouver… also doch Nachmittags hin und am nächsten Abend weiter. Das passt, so lange ist mein Greyhound-Ticket noch gültig. Ich komme in Lake Louise an und die Sonne strahlt. Was auch sonst. Leider ist die Vorhersage für den nächsten Tag nicht so gut, ich könnte es aber noch vor Einbruch der Dunkelheit schaffen, zum See zu laufen. Je mehr Sonne, desto schöner die Farben. Das ist in jedem Fall ein Versuch wert.
Die Strecke dauert ca. eine Stunde und angeblich ist es auch ein guter Weg, um sie alleine zu gehen. Also mache ich mich auf. Nach nicht allzulanger Zeit sehe ich ein Tier, das entweder ein Wolf ist, oder eine Mischung aus Wolf und Fuchs. Schönen Dank, hier gehe ich mal lieber nicht alleine weiter. Da riskiere ich doch lieber schlechtes Wetter am morgigen Tag, als die Gefahr eines kleinen Kampfes mit einem Tier dessen Namen ich nicht einmal kenne. Und was, wenn es seine großen Brüder ruft? Neee… da bin ich raus. Doofe Natur. Spaßverderber. Etwas frustriert gehe ich zurück zum Hostel. Morgen ist ja auch noch ein Tag. Grrrrrrr….
Die Verteilung in meinem Zimmer ist – ganz nach den allgemeinen Touristenraten – 3 Deutsche zu 1 Australierin. Und die eine Deutsche (Madeleine – reist nach dem Studium) schafft es auch tatsächlich, mich davon zu überzeugen, eine Fahrradtour zum Moraine Lake zu machen.
Fragt mich bitte nicht, warum ich einwillige, denn das Wetter ist unschön und grau, mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 % werden wir im Laufe des Tages nass, der Fahrradverleih in einem solchen Touri-Ort ist unverschämt teuer und außerdem liegt der See in ca. 14 km Entfernung, plus einen buckeligen Hikingweg am Anfang, dessen Entfernung ich nicht genau weiß, der aber den schwierigsten Teil der Strecke und auch einige Kilometer einnimmt. Das wäre nicht weiter schlimm, würden wir uns nicht nachwievor in einem Gebirge befinden… ihr wisst schon, da gibt es Berge und so. Ziemlich viele sogar. Und so ist der Hinweg ein Kampf. Zugegebenermaßen ist es aber eine nicht unwesentliche Motivation, als wir irgendwann das Päärchen überholen, das den buckeligen Hikingweg nicht mitgenommen hat und mit dem Auto bis zum Beginn der Straße gefahren ist, von dem es „nur“ noch 14 Kilometer sind. Die beiden fanden es vermutlich nicht so gut und wir überlegen uns, wie sehr die Frau, die von Anfang an nicht so glücklich auf dem Fahrrad war, ihren Mann zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon verflucht.
Die ganze Strecke mit dem Auto zurückzulegen ist jedoch nicht möglich, denn die Straße ist wegen des nahenden Winters bereits gesperrt. Mit dem Fahrrad darf man aber noch durch. Warum auch immer. So hilft es also nichts. Wer den See sehen möchte, muss sich quälen. Und das tun wir. Das letzte Stück geht es bergab auf den See zu und als wir anhalten sehen wir dieses strahlende Blau, für das die Seen hier bekannt sind. Zum größten Teil ist das Blau zwar bereits zu Eis erstarrt, aber trotzdem so wunderwunderschön, dass sofort sämtlicher Schweiß trocknet und wir es irgendwie noch schaffen, die Stufen zum Aussichtspunkt heraufzukriechen. Genau in dem Moment kommt auch die Sonne ein klein Wenig durch den wolkenverhangenen Himmel. Ganz offensichtlich weiß da jemand unsere Anstrengungen zu schätzen… Danke, liebe Sonne!
Der See hat einen gewissen Zauber, bestimmt auch, weil in der gesamten Zeit, in der wir dort sind nur noch vier weitere Personen dorthin kommen (inkl. dem bereits erwähnten Päärchen). Viel kann von der Besonderheit aber nicht mehr übrigbleiben, wenn all die Parkplätze und Bushaltestellen besetzt sind… mich gruselt’s bei der Vorstellung. Aber es ist ja ohnehin bald Halloween.
Aber auch so währt der Zauber nicht lange, denn kurz darauf schiebt sich eine Wolkenfront über die Berge, die uns nicht nur eine Eiseskälte beschert (danke Madeleine für die Handschuhe!!!!!), sondern auch ziemlich nach den 30% aussieht, auf die wir so gar keine Lust haben. Also schnell über den einen Hügel und dann rollen lassen. Und das auf einer gesperrten Straße mit wunderbarem Bodenbelag. Ja so macht Fahrradfahren Spaß! Da nehmen wir doch auch noch den kleinen Umweg in Kauf, und fahren (naja, schieben) zum Lake Louise. Schließlich kann ich nicht heute Abend wieder aus Lake Louise verschwinden, ohne den Lake Louise gesehen zu haben. Weit auffälliger als der See ist allerdings der riesige Hotelkomplex und hier gibt es auch um diese Jahreszeit mehr Touristen. Wir müssen zwar nicht gerade Schlangestehen, um den See zu fotografieren, viel fehlt aber nicht. Was fehlt, ist allerdings die Sonne. Diese veranstaltet mit den Farben des Sees nämlich für gewöhnlich ein ganz ausgesprochen schönes Spektakel, das ich leider nicht erlebe. Hätte mich auch gewundert, im Hintergrund ist schließlich ein Gletscher…
Erst bei meiner Abreise fällt mir auf, dass der Ort „Lake Louise“ eigentlich hauptsächlich aus Parkplätzen besteht. Nicht nur an den Seen direkt, sondern auch im „Zentrum“. Der Platz ist so groß, dass kein Nordamerikaner die Strecke als „walkable distance“ bezeichnen würde. Und darüber hinaus gibt nicht viel, außer zwei Cafés, zwei Restaurants, zwei Souvenir-Läden, einem Sportausrüster, einem „Supermarkt“, einer Tankstelle, der Touristeninformation und einem Laden, der gleichzeitig Post, Suvenir-Laden und Greyhound-Centre ist. Achja und einen Schnapsladen gibt es noch. Schon irgendwie seltsam.
Mit ordentlicher Verspätung kommt irgendwann mein Bus und ich verlasse die Rocky Mountains wieder. Schon schade… aber schön war’s… Ach ja: nicht nur ich habe mich in die Rockies verliebt, meine Liebe wurde erwidert. Schaut mal genau hin.