Niagara Falls, 09.-11.08.2010

Auf der gegen Unendlich gehenden Liste der Dinge, die ich gerne einmal sehen möchte, stehen natürlich auch die Niagara Fälle. Was ich erwarte: Viel Wasser, viel Natur, viele Touristen. Mit Letzterem liege ich auch vollkommen richtig. Die örtliche Busgesellschaft bringt mich und einen lustigen Brasilianer, den ich an der Bushaltestelle kennengelernt habe, ins Zentrum. Ich will in mein Hostel, er will sich einfach nur kurz die Fälle ansehen und dann wieder zurück nach Toronto. Zuerst halte ich dies für eine seltsame Idee, dann sehe ich das Riesenrad und überlege, ob es evtl. gar keine schlechte Idee ist, sich nur eine Stunde Zeit zu nehmen…

In meinem Hostel hält der „Herbergsvater“ (sagt man das eigentlich noch?) mir und den anderen drei Deutschen, die gerade ankommen, erst einmal einen ausgedehnten Vortrag darüber, dass ein bis zwei Tage viel zu wenig sind für die Niagara Fälle und das Deutsche und Koreaner diesen Fehler immer machen und dass der „Lonely Planet“ mit seiner Beschreibung falsch liegt und es in der nächsten Ausgabe ändert… und ich habe einen ca. 15 Kilo schweren Rucksack auf dem Rücken und schwitze ohne Ende, weil ich mich in dem extrem klimatisierten Bus doch für meine Fleecejacke entschieden habe… Außerdem verkauft er ja nichts …aber wir sollten uns überlegen, ob wir nicht mit den „Wirlpool-Jets“ fahren wollen, davon gibt es auch ziemlich viele Fotos von nassen Menschen. Außerdem gibt’s zum Frühstück Blaubeer-Muffins… er merkt einfach nicht, dass er nervt… und die meisten Übernachtungen in seinem Hostel sind 1,60 große, blode Au Pair Mädchen aus Deutschland… Das macht meinen Rucksack auch nicht leichter… Nach einer gefühlten Stunde und real vermutlich einer halben, bekomme ich endlich meinen Zimmerschlüssel, kann meine Sachen loswerden und mal sehen, ob dieses Riesenrad so schlimm ist, wie vermutet…

Nein, ist es nicht. Es ist schlimmer. Drumherum blinkt und leuchtet und schimmert es in allen Farben, die Burger King, Starbucks, Softeisstände und Souvenierläden so zu bieten haben. Es riecht nach Zucker und überall sind Menschen. Die berühmten Wasserfälle können also nicht weit sein. Ich kämpfe mich durch das vergnügungssüchtige Volk und sehe schließlich tatsächlich zuerst die Amerikanischen und etwas weiter entfernt auch die Kanadischen Fälle. Bunt beleuchtet und ziemlich laut. Mein erster Eindruck ist etwas enttäuschend, bis ich mal genauer hinsehe und die Höhe abschätze. Plötzlich bin ich beeindruckt und genieße den Ausblick eine Weile. Ich freue mich darauf, die Fälle bei Sonnenlicht zu sehen. Dann sind sie bestimmt nicht pink.

Eben noch voller Verachtung, begebe ich mich am nächsten Tag selbst in das volle Touri-Programm. Mit dem Boot zu den Fällen (sehr schön, da wird man ordentlich nass und bekommt einen Eindruck von der Höhe), auf einem Holzweg neben dem Fluss an verschiedenen Strohmschnellen vorbei (warum auch immer das eine Attraktion sein soll…das spannendste waren die mit Kaugummis gepflasterten Mauern) und dann noch auf eine „Reise hinter die Fälle“. Das ist allerdings eine echte Übertreibung, denn eigentlich läuft man einen Tunnel lang, der zwei Aussichtsplattformen hat, vor denen halt nun mal Wasser herunterfällt. Da man aber nicht alleine ist, steht man kurz Schlange, um vor einer weißen Wasserwand zu stehen, ggf. ein Foto zu machen und wieder zu verschwinden.

Alles in allem bin ich schon ziemlich schockiert, was die hier mit einem wundervollen Naturspektakel machen. Schuttlebusse fahren von einer Attraktion zur nächsten, der ewig süße Geruch geht mir auf die Nerven und ich würde so gerne etwas nicht essen, das nicht frittiert ist. Nach langem Überlegen und ausgiebiger aber vergeblicher Suche nach etwas Frischen, esse ich doch eine Pizza und bin erbost darüber, dass die hier doch tatsächlich in dem einzigen Laden, der ein paar Elemente eines Lebensmittelladens aufzuweisen hat, den Instantkaffee, den ich 3 Päckchen für 1 Dollar gekauft habe für 5,99 $ pro Päckchen verkaufen!!!

Nichtsdestotrotz zieht es mich aber immer wieder zu den Wasserfällen. Da ich etwas von einem Feuerwerk gelesen habe, dass evtl. stattfindet, gehe ich auch wieder zurück. Es ist 8.00 Uhr und die größte Masse an Touristen hat sich verzogen, bzw. ist jetzt in Richtung Riesenrad und Burger King unterwegs. Die Souvenierläden, die direkt an den Fällen sind, schließen. Es wird geräumt, gefegt, eine Mitarbeiterin lässt einen Karton mit Flaschen fallen, die Musik hört auf, Feierabend.

Ein paar Menschen sind noch unterwegs, machen Fotos, starren auf die unglaublichen Massen an Wasser, die die Horseshoe Falls hinunterdonnern. Ich suche mir einen Platz auf einem Steinhaufen und beobachte, wie die Lichter angehen und nach einer ersten Freude, über die bunten Lichter die Touristen mehr und mehr verschwinden. Nur noch wenige genießen die einbrechende Nacht. Keiner will einem mehr eiskalte Getränke, Eis, Burger oder irgendeinen Nippes verkaufen. Es ist ruhig, bis auf das Getöse, dass die Wasserfälle verursachen. Und irgendwie beruhigt es mich sehr. Völlig unbeeindruckt davon, ob tausende von Touris Fotos machen, in lustigen Regencapes auf Booten hin und her fahren, Eisessen oder was auch immer: die Wasserfälle machen einfach weiter. Ob man ihnen zuschaut oder nicht. Ob Tag oder Nacht. Mit Beleuchtung oder ohne. Sie sind einfach da. Sie sind groß, sie sind überwältigend und definitiv einer der schönsten Orte, die mir die Natur bisher gezeigt hat.

Eine kleine Wanderung am nächsten Tag, außerhalb von all dem Trubel versöhnt mich auch wieder mit der Region. Mann kann hier auch anders seine Tage verbringen, als mit Riesenradfahren und Geisterbahn. Trotzdem hat Niagara-Disney in mir irgendwie schon einen Fast-Food-Ekel erzeugt, bevor ich überhaupt die USA betreten habe. Ich will Obst. Aber dieser Wunsch soll ein solcher bleiben, bis ich am kommenden Tag mit dem Bus in die USA einreise und am Rastplatz Bananen entdecke. Die Freude, die ich in diesem Moment über die Früchte verspürte, kann vermutlich nur jemand nachvollziehen, der in Ostdeutschland aufgewachsen ist…

Aber meine Freude ist nur kurz, denn neben den Bananen kaufe ich mir ein Thunfischsandwich und einen Kaffee. Da es keine Milch gibt, suche ich eine Weile, bis ich Sahne ohne irgendeine abstruse Geschmacksrichtung finde und gehe zurück in den Bus. Meine Sitznachbarin kann zwar die Freude über meine Bananen nicht teilen, ist aber darüber hinaus eine wirklich spannende Person. Während ich mich wundere, dass nicht nur mein Kaffee extrem süß ist, sondern auch das Thunfischsandwich (zuckern die hier wirklich ihr Brot?????), kommen wir ins Gespräch und ich erfahre, dass sie mit ihrem zweiten Mann in nur 2,5 Jahren alle 7 Kontinente bereist hat. Die beiden haben sich irgendwo kennengelernt und er wollte gerne mal in die Antarktis. Sie sagte „ich komme mit“ und so wurden sie ein Paar und da beide bereits pensioniert waren, haben sie ihre Zeit mit Reisen verbracht. Und sie waren wirklich überall, haben ihre teure Kamera mit Klebeband getarnt, sich auf einem auseinanderbrechenden Eisberg fast verloren und Kälte und Hitze gleichermaßen mitgenommen. Die letzte geplante Reise konnten sie nicht mehr machen, da er Krebs bekam und starb.

Sie blickt aber nicht auf das, was sie nicht mehr gemeinsam gesehen haben, sondern auf die vielen Reisen, die sie gemacht haben, wie sie ihre Zeit genutzt haben und wie viel Spaß sie so zusammen hatten. Eine wirklich beeindruckende Begegnung, die mich darin bestätigt, dass man Gelegenheiten wahrnehmen sollte und Gelegenheiten zum Reisen erst recht.

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