Jasper, 09.-13.10.2010

Ach nee… wat schön. Mir fehlt leider das Vokabular um wirklich in Worte zu fassen, wie schön es hier in den Rocky Mountains ist. Ich wusste gar nicht, dass ich Berge so schön finden kann. Und hier gibt es so viele. Und die sehen alle anders aus. Und sagte ich schon, dass sie verdammt schön sind? Hinzu kommt, dass Sonne und Wolken offensichtlich nichts besseres zu tun haben, als die Berge in ein möglichst gutes Licht zu rücken und das macht sie nur noch schöner. Hier und da ein bissi Schnee oder ein kleiner See und fertig ist der atemberaubende Ausblick. Vermutlich kann es nicht mal nach Monaten oder Jahren langweilig werden, die Berge anzustarren und sich über die Farben und Formen zu freuen. Man kann hier wirklich keine 10 Meter laufen oder fahren, ohne wieder irgendetwas wunderschönes zu entdecken. Ich fühle mich wie ein Kind an Weihnachten, dass unzählige Pakete auspacken kann, in jedem genau das, was es sich gewünscht hat und die Päckchen werden nicht weniger.

Da ich noch nicht im Hostel einchecken kann, gehe ich erst einmal zur Touri-Information. Die hat zwar noch zu, dafür kommt mir der übergroße Rucksack doch irgendwie bekannt vor. Kurze Zeit später taucht auch schon Mary auf. Die Franco-Kanadierin, die bei der Einreise nach Kanada so gefilzt worden ist. Man trifft sich offensichtlich immer zweimal.

Mein Hostel ist schon ausgebucht und so ist sie noch auf der Suche nach einer Unterkunft, während ich erst einmal losziehe, um meiner ersten kleinen Wanderung zum „Pyramide Lake“ nachzugehen. Der namensgleiche Berg hat mich schon von Beginn an angezogen, weil er so schön bunt ist. Gleichzeitig ist die Strecke relativ belebt und direkt neben der Straße, also ideal, wenn man alleine unterwegs ist, hier begegnet man so schnell keinem Bären. In dieser Gegend wird man wirklich für jeden Schritt, den man macht belohnt. Sobald man denkt, man hätte das „Highlight“ der Strecke erreicht, gibt es wieder etwas, in diesem Fall eine kleine Insel, von der aus man noch mehr Berge sehen kann, was ein Paar auch gleich zum Anlass genommen hat, dort zu heiraten. Leider gibt es hier nicht so viel Laubwald, die Farben der Bäume sind also eher unspannend, wobei… wenn man mal genauer hinschaut, kann auch ‘grün’ verdammt schön sein.

Wieder zurück im Ort, mache ich noch ein paar kleine Einkäufe und dann geht es ab ins 7 km außerhalb gelegene Hostel. Hier gibt es übrigens doch Strom und Wasser. Das hatte ich mit einem anderen, noch etwas weiter abgelegenen Hostel verwechselt. Schon im Shuttle hierher wäre ich fast eingeschlafen, was zur Folge hatte, dass ich beim Einchecken weder Tage, noch meinen Namen noch sonst irgendetwas in einen sinnvollen Zusammenhang bringen konnte. Und wie sollte es auch anders sein, beschäftige ich mich in den folgenden Tagen damit, den Ruf der Verpeiltheit zu verteidigen. Selten so schön meine Sprache verloren.

Nach langer Zeit ohne ein Bett, ist der ausgiebige Schlaf schon sehr erholsam und dann geht’s auch schon los auf einen Tagesausflug zur „Columbia Icefield“. Die Eisfläche ist ungefähr so groß wie Vancouver. Leider ist Murphey an diesem Tag mein Reisepartner und – wie sollte es auch anders sein, wenn ich mir einen Gletscher ansehen möchte – es ist grau, verregnet und alles andere als angenehm.
Dafür geht es mit dem Buses ca. 100 km den „Icefield Parkway“ entlang. Eine Straße durch die National Parks, die nur dafür da ist, dass man sich die schöne Landschaft ansehen kann und von einem schönen Ort an einen noch viel schöneren kommt. Erster Halt sind die „Athabasca Falls“. Wiedereinmal Wasserfälle, die relativ unspannend wären, gäbe es nicht auch noch einen dazu passenden Canyon mit türkisfarbenem Wasser und herrlich rund abgeschliffenen Felsen. In regelmäßigen Abständen muss ich mich selbst daran erinnern, meinen Mund zuzumachen, der vor Begeisterung ständig offen steht.

Nach nur kurzem Aufenthalt geht’s auch schon weiter zum Athabasca Gletscher. Da fährt man mit lustigen ‘Bussen’ hoch, deren Räder nur unwesentlich kleiner sind, als ich. Eine Firma, die normalerweise Equipment für die Ölindustrie baut, hat sich irgendwann auch dem Gletschertourismus angenommen. Die Gefährte können Hügel mit über 30% Steigung hochfahren und das tun wir auch. Oben angekommen wagen wir uns aus dem Bus, obwohl es so windig und nass ist, dass man leider nicht allzuviel sehen kann, dafür wird man aber innerhalb kurzer Zeit ordentlich nass. Memo an mich: Regenhosen funktionieren nicht, wenn sie im Hostel im Backpack liegen.

Vielleicht hätte ich doch die Tour am Vortag nehmen sollen… aber da steckt man leider nicht drin. Ich versuche also aus den Fotos so viel herauszuholen wie möglich, was beim ständigen Nasswerden und Beschlagen der Kamera nicht allzu einfach ist und trinke einen Schluck Gletscherwasser. Davon soll man angeblich 10 Jahre jünger aussehen. Als ich mich später mit der Busfahrerin unterhalte und sie frage, ob ihr das denn nicht auffalle, sagt sie „Oh yes… you look like… 10“. Offensichtlich hätte ich das Wasser also gar nicht gebraucht.

Trotz des fiesen Wetters und der großen Mengen an Gletscherwasser, die ich vermutlich noch durch Osmose aufnehme, ist es die Tour aber in jedem Fall wert. Auf dem Weg sehe ich endlich Elche (wenn auch nicht in der Größe, in der wir sie in Schweden nicht gesehen haben) und überhaupt ist es einfach ein schöner, lustig-nasser Tag.

Gekrönt wird dieser von meinem ersten Thanksgiving. Hier im Hostel gibt es zu diesem Anlass ein großes Abendessen, zu dem etwas beisteuern kann, oder eine kleine Spende macht. Ich entscheide mich dazu Brot zu backen (an dieser Stelle meinen Dank an Callin für die Backmischung). Schließlich kann es nichts wirklich deutscheres geben. Kurze Zeit überlege ich noch, ob ich mir den Truthahn schönrede, bei so vielen internationalen Beilagen muss es dann aber doch nicht sein.

Da angeblich die Statistiken für häusliche Gewalt in Kanada an Thanksgiving extrem in die Höhe gehen, bin ich mir nicht sicher, ob ich den Feiertag allgemein mag, aber hier im Hostel mit so vielen Leuten aus diversen Ländern (naja, man spricht entweder Englisch, Französisch oder Deutsch) ist es wirklich eine Feier wert. Hier hätten wir uns aber auch einfach einen Feiertag ausdenken können.

Jasper und das Hostel gefallen mir, also beschließe ich, meinen Aufenthalt um zwei weitere Nächte zu verlängern. Bisher war mein Reisestil ja doch eher japanisch und das sollte sich irgendwann einmal ändern. Und so geht es dann am nächsten Tag auf meine erste ernstzunehmende Wanderung. Nicht unbedingt in Sachen Entfernungen, aber in Sachen „Berge erklimmen“. Wandern klingt so nach alten Leuten mit dreiviertellangen Hosen und Stricksocken, vor allem im Zusammenhang mit „Bergen“, aber „hiking“ und „mountains“ sind ziemlich verlockend und ich kann mir gar nicht vorstellen, dass man hier von der Natur enttäuscht werden kann. Also erklimmen wir in einer Gruppe von 8 Leuten einen Berg mit atemberaubender Aussicht auf den Maligne Lake. Oben gibt’s ein keines Picknick im Schnee und wir können Dan, einen Neuseeländer, der aus Prinzip in Shorts wandern geht, weil er das in Neuseeland auch immer macht, davon überzeugen, dass er unbedingt ein Foto in Shorts, T-Shirt und Barfuß braucht. Inselmenschen…

Auf dem Weg zurück folgen wir unseren eigenen Fußspuren, jeder nach mir kann aber auch einfach die Spuren meines Hinterns verfolgen… Doc Marten’s sind einfach keine Schnee-Schuhe. Zum Glück bin ich aber nicht die Einzige, der es so ergeht…

Oh, ich glaube, ich bin doch mehr Outdoor-Mädchen,als ich dachte. Diese Rocky Mountains haben mich einfach mit ihrer Schönheit gefangen. Und so geht’s am nächsten Tag zum Mt Edith Cavell. Eine der letzten Gelegenheiten, denn Ende der Woche wird die Straße gesperrt. Es wird Winter. Leider müssen wir unsere Tour ca. 15 Minuten vor dem Gipfel abbrechen, da es über der Baumgrenze dann doch ordentlich weht und außerdem nicht unwesentlich anfängt zu schneien.

Trotzdem eine grandiose Aussicht auf zwei Gletscher (keine Angst, auch an diesem Tag gibt es natürlich keinen blauen Himmel). Es ist so schön, sich langsam auf Augenhöhe mit diesen „Eisklumpen“ zu arbeiten, wenn sich die Landschaft Stück für Stück verändert… aber mit Schnee ist nicht zu spaßen und bevor er unsere Spuren verdeckt (wir waren die ersten dort oben seit dem letzten Schneefall), ist es dann wohl doch besser, einfach umzukehren.

Wieder unten angekommen betreten wir dann doch noch die touristisch ausgeprägteren Pfade und werden auch hier für jeden Schritt belohnt: ein halb gefrorener See mit Eisbergen und schließlich eine Eishöhle… absolut atemberaubend.

Nein, es gibt einfach keine Worte um diesen Anblick zu beschreiben. Vollkommen unmöglich. Keine Chance. Auch meine Fotos zeigen es nicht im Geringsten. Ihr müsst wohl selbst herkommen und euch die Canadian Rockies ansehen. Wann auch immer man auf den geschwungenen Straßen um die nächste Kurve kommt, sieht wieder etwas so unfassbar Schönes, dass irgendjemand im Auto ein x-beliebiges Geräusch der Freude machen wird.

Nach 3 Tagen Wandern merke ich, dass es in meinem gesamten Körper Muskeln gibt, diese aber nicht unbedingt ausgeprägt sind. Also lieber mal einen Tag langsam machen. Heute Abend geht es ohnehin weiter nach Canmore. So ganz ohne Bewegung an der frischen Luft geht es aber doch nicht und so ziehe ich mit einer Kanadierin los, die auch nur eine kleine Runde laufen mag. Wir entscheiden uns für den Wanderweg (wieder so ein doofes Wort) zum „Old Fort“. Wirklich viel sieht man von dem Fort nicht, lediglich ein paar Steinreste, aber natürlich gibt es auch hier einen wahnsinnigen Ausblick. Diesmal auf Jasper.

Wir stehen also an einem Abhang und freuen uns für ca. eine halbe Minute, als wir eine Bergziege oder was auch immer das für ein gehörntes Tier ist, entdecken. Während ich sie fotografiere, fällt mir auf, dass ich keine Ahnung habe, was diese Tiere so tun und wir treten spontan, aber trotzdem so ruhig wie möglich den Rückzug an. Die Bergziege, die eben noch faul und friedlich den Ausblick genossen hat entscheidet sich derweil, auf uns zuzukommen. Es braucht keine Raketenwissenschaften, um festzustellen, dass diese Viecher den unschätzbaren Vorteil zweier riesiger Hörner haben. Außerdem sind sie größer als unsere Ziegen. Viel größer. Würde ich mich draufsetzen, würde sie es nicht nur überleben, sondern auch meine Beine kämen gewiss nicht mehr auf den Boden. Und das liegt nicht daran, dass sie kurz sind… Die Kanadierin und ich sind uns also schnell einig, dass wir keinen Kampf mit der Ziege aufnehmen wollen, sie bewaffnet sich trotzdem mit einem Stein (das macht bei mir keinen Sinn, weil jede Ziege lachen würde, könnte sie mich beim Werfen beobachten) und wir laufen weiter unseren Weg zurück. Als wir sie nicht mehr sehen, drehen wir um, in der Hoffnung, den Rundweg fortsetzen zu können.

Die Ziege ist nicht mehr wo sie war. Gut. Wir laufen erleichtert weiter, da schneidet uns das Mistvieh den Weg ab. Ja, Erinnerungen verschwimmen schnell, aber ich glaube, sie hat uns angegrinst. Und ich sage euch… auf einem Berg in den Rockies von einer riesigen Bergziege verfolgt zu werden ist schon irgendwie ein wenig angsteinflößend. Und im Gegensatz zu Hangpferden haben Bergziegen vier gleichlange Beine und können in beiden Richtungen um den Berg laufen… man kann sie also nicht einmal austricksen, indem man die richtige Richtung wählt. Wir gehen also wieder ein Stück zurück und warten eine Weile, bis die Ziege irgendwann etwas Spannenderes findet und davon läuft. Endlich können wir unseren Weg fortsetzen, natürlich immer mit dem Blick nach hinten, ob wir nicht vielleicht doch verfolgt werden.

In halbwegs sicherer Entfernung treffen wir dann einen Mann mit Kamera, der auch prompt fragt, ob es dort oben Bergziegen gibt. Ich sage „Ja“ und warne ihn, dass wir gerade von einer verfolgt wurden. Er meinte, er wäre in jedem Fall schneller als die Tiere. Das wage ich ja zu bezweifeln… Vielleicht sollte ich morgen mal eine Zeitung kaufen…

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