Haines, 20.-23.09.2010

Mein kurzer Aufenthalt in Haines ist irgendwie eine Reduktion auf das Notwendige, zurück zur Natur und so beschränke ich meine Aktivitäten auf Schlafen, Essen, Laufen und Kajakfahren. In meiner ersten Nacht komme ich so auf unglaubliche 14 Stunden Schlaf. Mit nur einer kurzen Unterbrechung und dem kleinen Kampf, ob ich wirklich so dringend muss, dass es sich lohnt aufzustehen und durch die Kälte einmal über den „Hof“ zu laufen. Es hat sich gelohnt, aber die Überwindung war groß.

Haines ist ein kleiner Ort, der von den Touristenmassen noch relativ verschont ist. Zwar gibt es auch hier das eine oder andere Kreuzfahrtschiff und außerdem eine Schnellfähre von und nach Skagway (Touri-Mekka), aber viele Einwohner wohnen hier tatsächlich das ganze Jahr über und die Stadt hat eine echte Infrastruktur und nicht nur Souvenir-Läden.

Es ist das Ende der Saison und ich habe wirklich Glück, noch an einer Kajaktour teilnehmen zu können. Der letzten der Saison, denn zum letzten Mal kommen Kreuzfahrt-Touristen mit der Schnellfähre nach Haines. Über Reisende, die unabhängig von den Kreuzfahrtschiffen ankommen ist man hier eher verwundert und so werde ich in jedem Geschäft etc. gefragt, ob ich denn jetzt in Haines wohne. Nein, tue ich nicht. Würd’ ich aber. Alaska muss man einfach lieben. Trotz Sonnenschein ist es nicht übermäßig warm (ca. 6 Grad) und ich schwitze nicht und rieche folglich nicht knusprig. Hier gefällt es mir einfach.

Das Hostel ist ca. 2 Meilen außerhalb von Haines, gute Laufentfernung und als ich frage, ob man das auch so ohne weiteres tun kann (bin da ja doch etwas vorsichtig), bekomme ich die Auskunft, dass ich es lediglich früh morgens und abends vermeiden sollte, wegen der Bären. Das ist in der Tat eine Gefahr, über die ich noch nie nachgedacht habe. Warum auch. Gibt ja keine Bären in Deutschland und wenn es mal einen gibt, ist es gleich ein riesiges Thema (der arme Bruno…). Wenn man hier vor Bären gewarnt wird, ist das nur zum Teil aus Sorge um die Mitmenschen, denn wenn ein Bär einen Menschen angreift (was er nur tun wird, um sich zu verteidigen), wird er erschossen. Und die Menschen hier mögen ihre Bären. Aber die Menschen hier sind auch sonst extrem freundlich, jeder grüßt und nach nicht einmal zwei Tagen kennt mich ohnehin der ganze Ort.

Außerdem merkt man einfach an jeder Ecke, dass die Saison vorbei ist. Im Hostel wohnt außer mir nur noch eine Engländerin, die ihre Doktorarbeit in Haines schreibt. Alle anderen Cabins sind leer und jeder scheint sich auf den Winter vorzubereiten. Irgendwie ist das eine ganz besondere Stimmung.

Das Leben ist hier ein ganzes Stück langsamer. Eine „Kreuzfahrerin“ die ich auf meiner Kanutour treffe nannte es „primitiv“. Das würde ich aber überhaupt nicht sagen. Hier hat man einfach andere Prioritäten und bei einer Entscheidung zwischen warmen Socken und IPhone würde hier wohl jeder die warmen Socken wählen. Hier sind die Autos alt und dreckig und die Pick-Ups werden (im Gegensatz zum Rest der USA) zum Transportieren benutzt. Meist ergänzt durch ein bis zwei übergroße Hunde, die auf der Pritsche den Fahrtwind genießen. Die Internetverbindung im Hostel funktioniert nicht mit jedem Rechner, Cafés mit Wi-Fi gibt es nicht, man muss also in die Bibliothek. Dort gibt es Computer mit Diskettenlaufwerken und auch für viele Einheimische scheint es die einzige Möglichkeit zu sein, ins Netz zu kommen. Aber an so einem wunderbaren Ort ist es einfach egal, wenn man auf den gewohnten Luxus verzichten muss. Wenn man durch die frische Luft läuft, die alten Häuschen betrachtet, mit dem Kajak über einen See fährt, Adler beobachtet, oder einfach nur die Berge anstarrt, bleibt die Zeit ohnehin stehen. Ihr glaubt gar nicht wie viel Zeit ich mit Berge anstarren verbringe und ich habe Angst, dass diese irgendwann zurückstarren.

Und apropos anstarren: nach meiner Kajaktour, sehe ich vom Bus aus Bären. Braunbären, um genau zu sein. Noch genauer: Speedy mit ihren zwei Kleinen. In guter Entfernung und aus einem Bus ist das Bärenbeobachten ohnehin am besten und so gibt es genug Zeit zum Fotos schießen.

Speedy ist stadtbekannt, denn sie hat als Junges nicht das Fischen gelernt (und ich sage euch: in Haines könnte sogar ich Lachse mit der Hand fangen, so viele gibt es da). Als sie also von zu Hause auszog ist sie in die Stadt gelaufen und hat sich über den Müll her gemacht. Nicht gerade das, was Anwohner gerne mögen und auch nicht gut für den Bär selbst, denn das führt früher oder später dazu, dass er erschossen wird. Also wurde alles versucht, um Speedy davon abzuhalten. Mit Gummipatronen wurde sie daher immer wieder verscheucht und nach ca. einem Jahr hat man sie dann tatsächlich beim Fischen beobachtet. Die regionalen Zeitungen waren voll und alle haben sich gefreut. Jetzt hat Speedy selbst zwei Junge und zeigt ihnen, wie man fischt. Und ich durfte sie sogar dabei beobachten und ein Foto machen.

Ende gut, alles gut. Das Leben kann so schön sein.

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